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Titel
Krieg und Christentum. Religiöse Gewalttheorien in der Kriegserfahrung des Westens


Herausgeber
Holzem, Andreas
Reihe
Krieg in der Geschichte, 50
Erschienen
Paderborn 2009: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
844 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Thomas Schulte-Umberg, Katholisch-Theologische Fakultät, Institut für Historische Theologie - Kirchengeschichte, Universität Wien

Befördert das Christentum den Krieg? Wer eine einfache Antwort auf diese Frage in Form eines entschiedenen «Ja» oder «Nein» von dem hier anzuzeigenden Sammelband erwartet, wird enttäuscht werden. Allerdings steht zu befürchten, dass die Anhänger einfacher Antworten eher nicht zu einem Buch mit einem Umfang von knapp 850 dicht bedruckten Seiten greifen werden, deren Lektüre zwar überaus lohnenswert, aber mit Anstrengung verbunden ist.

Der Sammelband dokumentiert eine Tagung des Tübinger Sonderforschungsbereichs «Kriegserfahrung – Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit.» Das Werk ist in fünf grosse Abschnitte gegliedert. Die insgesamt 35 Beiträge behandeln biblische Grundlagen, Antike, Mittelalter, frühe Neuzeit sowie Neuzeit und Moderne. Der Bogen wird dabei gespannt vom alten Israel bis zur Rolle Gottes im amerikanischen Anti-Terror-Krieg der Gegenwart. Man möge dem Rezensenten nachsehen, hier die vornehmlich das westliche Christentum in den Blick nehmenden Beiträge nicht einzeln vorstellen zu können. Jeder Versuch würde ein mehrere Seiten langes Traktat generieren.Den Beiträgen voran geht eine – mit Anmerkungen – knapp 100 Seiten umfassende, überaus präzise Einführung des Herausgebers. Rein quantitativ gesehen liegt das Hauptgewicht der Einführung auf der Zusammenfassung der Ergebnisse der einzelnen Beiträge gegliedert nach den genannten Grossabschnitten.

Die Zusammenfassung wie die Beiträge selbst stehen im Dienst und im Kontext einer erfahrungsgeschichtlichen Bearbeitung des Themas Krieg und Christentum. Der Begriff Erfahrungsgeschichte mag zu Missverständnissen verleiten. Daher betont der Herausgeber, es gehe nicht um die Herstellung von Authentizität, sondern um «Sinnstiftungen und Deutungswelten» (14). Wie Krieg verstanden wird, sei von den jeweiligen «Menschenbildern, Herrschafts- und Politikverständnissen, Gottesvorstellungen und ethischen Überzeugungen zutiefst abhängig» (14.). Diese allgemeinen Ansatzpunkte sind inhaltlich von sakralen Texten und deren Auslegungs- wie Wirkungsgeschichte im Kontext von «Herrschaft und Gesellschaft» (14) präfiguriert. Daher sei es für das Thema Krieg und Christentum zwingend, den Bogen so weit wie im vorliegenden Band zu spannen.

Kriegstheorie, auf der der Schwerpunkt liegt, und Kriegserfahrung sind für Holzem und die Autoren keine Gegensätze. Das Denken über den Krieg hat dessen Praxis in vielfacher Weise geprägt. Umgekehrt haben Kriegserfahrungen auch das Denken über den Krieg verändert. Allgemein gesprochen, unterlag von Anbeginn «der Stellenwert und die Rolle von Religion für die ‹Konstruktion von Wirklichkeit›» (18) Wandlungen. Spezifisch folgt daraus «die Notwendigkeit, in unterschiedlichen Zeiten, Räumen und Gesellschaften soziale Konstruktionsprozesse von Kriegserfahrung als religiöse Erfahrung zu analysieren. »(18) In den einzelnen Beiträgen gelingt dies in durchaus eindrucksvoller Weise.

Die Vehemenz, mit der das Thema «Krieg und Christentum» öffentlich in den letzten Jahren diskutiert wurde, ist tagesaktuellen Bezügen geschuldet. So behandelt der letzte Beitrag des Bandes die «Rolle der Religion im amerikanischen Anti-Terror-Krieg». Zwischen diesem Thema und dem des vorhergehenden Beitrags liegen mehr als fünf Jahrzehnte. Diese Lücke – wobei es mehr als kleinlich ist, das Wort hier zu verwenden – wird auf den Zuschnitt des Tübinger Sonderforschungsbereichs zurückzuführen sein. Bedauerlich ist sie dennoch, da in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, wie der Herausgeber knapp bemerkt, «die Fragen nach einer christlichen Kriegstheorie völlig anders gestellt» und von Christen «in überwiegender Mehrheit die Parteilichkeit Gottes grundlegend anders» (90) formuliert wird. Das ist in Europa ebenso wie in den USA zu beobachten, wobei den 1960er Jahren eine Schlüsselrolle zukommen wird.

Weitere Forschungen zu dieser Zeitspanne werden auf den Sammelband zurückgreifen müssen und dürfen. Neben dem Rückgriff auf den inhaltlichen Reichtum des Bandes wie etwa die verschiedenen Modi, in denen sich Gott im Krieg als wirkmächtig und präsent erweist, und langfristigen Entwicklungen, wird dies in erster Linie der in Bezug auf das Thema «Christentum und Krieg» entwickelte erfahrungsgeschichtliche Ansatz sein. Wieter wird auch die zeithistorische Forschung sich dessen bewusst sein müssen, dass das Christentum Krieg weder per se ausschliesst noch ihn per se befördert. Nur eine «wissenssoziologische Erschließung der je aktuellenErfahrungskontexte» (71) ermöglicht die Einsicht in das jeweilige Verhältnis von Krieg und Religion. Um die Worte Arnolds Angenendts, dem der Band gewidmet ist, zu verwenden: «Krieg kann aus säkularen Gründen geführt werden. Und Krieg kann aus religiösen Gründen geführt werden.» (341)

Zitierweise:
Thomas Schulte-Umberg: Rezension zu: Andreas Holzem (Hg.), Krieg und Christentum. Religiöse Gewalttheorien in der Kriegserfahrung des Westens (= Krieg in der Geschichte, Bd. 50), Paderborn et al., Ferdinand Schöningh, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 520-521

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